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von Thomas Willmann/Schweriner Volkszeitung

„Das war alles so abgesprochen“, meinte Uwe Bremer mit einem breiten Lachen. Der Präsident des Ringerverbandes Mecklenburg-Vorpommern musste seine Stimme ganz schön erheben, um überhaupt durchzudringen. Die Lübtheener Hans-Oldag-Halle „kochte“ noch lange nachdem die Entscheidung im letzten Saisonkampf der 2. Bundesliga mit einem 21:16 zu Gunsten des RV Lübtheen gefallen war. Dieser Sieg war für die Mecklenburger gleichbedeutend mit dem Gewinn des Vizemeistertitels, und das gleich im Aufstiegsjahr.

Mehr geht nicht, darin war sich die große Mehrheit der rund 600 Zuschauer einig. Fans und Aktive lagen sich in den Armen, die Trainer Jens-Peter Sievertsen und Bert Compas wurden auf Schultern getragen. Grenzenloser Jubel auf der einen, tiefe Enttäuschung auf der anderen Seite. Durch diese Niederlage rutschten die bis dahin punktgleichen Gäste vom AC Werdau aus den Medaillenrängen auf den undankbaren vierten Platz ab: „Es ist in einigen Gewichtsklassen ziemlich schief gelaufen. Wir sind das jüngste Team der Liga, da musst du wohl mit so etwas rechnen. Aber die Kampfrichterentscheidungen waren heute auch das Allerletzte, das können Sie ruhig so schreiben“, urteilte ein sicht- und hörbar gefrusteter Werdauer MannschaftsleiterMarco Olschewski. Trotzdem erwiesn sich die Sachsen als absolut fairer Verlierer. Die Lübtheener Ringer bewiesen nicht zum ersten Mal in dieser Saison, dass sie viel Sinn für Dramatik haben.

Alexander Ginc (55 kg/griechisch-römisch) sorgte für einen Auftakt, der das Stimmungsbarometer in der Halle gleich auf 180 ansteigen ließ. „Wahnsinn, Weltklasse, das gibts doch gar nicht“, war Frank Oldag, sportlicher Leiter des RVL, schier aus dem Häuschen, als der 15-Jährige gegen den etablierten Kirk Reimer durch technische Überlegenheit (12:0-Punkte) vorzeitig gewann. „Das ist ja nicht irgendwer, das ist der amtierende deutsche Vizemeister der Männer.“ Doch aus der Begeisterung wurde schnell Ernüchterung, aus der 4:0-Führung bis zur Pause ein 6:12-Rückstand. Thomas Tonn (120 kg/Freistil) und Andreas Aurich (96 kg) kassierten jeweils knappe Niederlagen, die mit 1:2 in die Wertung einflossen, Mitko Asenov (60 kg/Fr.) war gegen den ungarischen Meister Jozsef Molnar chancenlos. Zudem brachte der Kampfrichter die Halle total gegen sich auf – es wurde lautstark und anhaltend gebuht–, als er gegen Anders Ekström (66 kg/gr.-r.) die vierte Verwarnung wegen passiver Kampfführung aussprach. Das war gleichbedeutend mit einer Disqualifikation und vier Punkten für den tschechischen Meister Michal Novak. Besonders bitter: Zu diesem Zeitpunkt führte Lübtheens Däne mit 2:1. „Passivität, das ist immer subjektiv und reine Auslegungsache. Genau deshalb bin ich gegen diese neue Regel“, ereiferte sich der Lübtheener „Ringervater“ Csaba Mátraházi (73 Jahre).

In der Pause sah man überall zusammengesteckte Köpfe, gedanklich wurden die Rechenschieber ausgepackt: „Was geht jetzt noch, wo können wir wie punkten“, klopfte man die Chancen für die verbleibenden fünf Kämpfe ab. Während die mitgereisten Werdauer Fans, die ihrerseits ordentlich „Alarm“ machten, obenauf waren, herrschten in der Lübtheener Ecke nachdenkliche Mienen vor: „Gerade das letzte Urteil habe ich anders gesehen. Die vier Punkte tun uns natürlich weh. Es kommen noch einige Duelle, in denen man den Ausgang nur schwer voraussagen kann“, gab sich Jens-Peter Sievertsen eher zurückhaltend.

Aber auch er ließ sich gerne von der Begeisterung anstecken, die seine Schützlinge anschließend entfachten. Nach dem ungefährdeten Punktsieg von Sebastian Otto (84 kg/Fr.) zum 9:12 präsentierten sich Dennis Langner (66 kg/Fr.), Atanas Kolev (84 kg) und Frederik Bjerrehuus (74 kg/gr.-r.) in bestechender Form und sorgten für eine vorentscheidende Wende. Langner schulterte den daraufhin völlig konsternierten William Stier, Kolev sammelte gegen Pavel Powada in bester Eichhörnchen-Manier Punkt um Punkt, bis zum frenetisch gefeierten 13:1, und Bjerrehuus machte gegen Chris Wemme kurzen Prozess. Nach gerade einmal einer Minute Kampfzeit stand das 14:0 fest, Sieg durch technische Überlegenheit – es hieß 21:12. Die Lübtheener Fans hielt es längst nicht mehr auf ihren Sitzen. Dieser besonderen Atmosphäre, jeder Kämpfer wurde namentlich angefeuert,  konnte sich wohl niemand entziehen – Gänsehaut-Feeling pur. Die Gesichter auf Werdauer Seite wurden dagegen lang und länger. Dass Zsombor Gulyas (74 kg/Fr.) abschließend gegen Benjamin Sadkowiak, der kurzfristig für den an der Hand verletzten Sebastian Nowak eingesprungen war, noch vier Punkte für das Gäste-Konto sammelte, verbuchte man bestenfalls unter Chronistenpflicht.

Zu den eher stillen Genießern am Mattenrand zählte Lothar Metz (74 Jahre). Der Olympiasieger von 1968 bereute es nicht, gemeinsam mit Ehefrau Helga der Einladung des RV Lübtheen gefolgt und aus Rostock angereist zu sein: „Auch nach so langer Zeit bleibt das Kribbeln. Wir haben teilweise sehr gute Kämpfe gesehen. Und vor allem diese Stimmung – einfach toll.“ Die Volleyballerinnen des VC Parchim II fieberten ebenfalls kräftig mit. Gleich sechs Spielerinnen aus dem Team, das aktuell ungeschlagen die Landesliga-Tabelle anführt, verfolgten das Geschehen aus nächster Nähe. Nicht von ungefähr: Zumindest Zuspielerin Vanessa Derrath (15 Jahre) ist praktisch mit dem Ringkampfsport groß geworden. Ihr Papa und Trainer, Heiko Derrath, hat selbst für Rostock in der 1. Bundesliga gerungen. Die jungen Parchimerinnen hatten ihre Vereins-T-Shirts im Gepäck, die sie den Ringern im allgemeinen Freudentaumel überreichten: „Als Glücksbringer für die neue Saison“, sagte Mannschaftsführerin Lisa Drefahl. Die neue Saison, das ist für den RVL allerdings Zukunftsmusik. An diesem Abend galt es, den Augenblick zu genießen. Und es wurde ein langer Augenblick: In der zur Party-Meile umgewandelten Hans-Oldag-Zone ging bis in die Morgenstundenso richtig die Ringer-Post ab.

 

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